von Charlotte Winterhalter & Georg Schuberth
Pünktlich zum WM-Auftaktspiel starteten wir unsere Umfrage zur Meinung der Heidelberger Studierenden zur WM in Katar. Unser Ziel war es, ein grobes Meinungsbild der Studierenden zu erfassen. 1008 Studierende haben im Zeitraum vom 19.11.-01.12.2022 an der Umfrage teilgenommen. Der Median des Alters der Teilnehmenden liegt bei 21 Jahren. Zur Verbreitung haben wir den Link zur Umfrage in diverse Erstsemester-WhatsApp Gruppen gesendet. Des Weiteren haben wir Flyer zur Bewerbung der Umfrage verteilt. Somit entstand eine breite Varianz unter den Fachrichtungen der Studierenden.
Ergebnisse
Das britische Meinungsforschungsinstitut „YouGov“ führte noch vor der WM 2022 (21.-28. Oktober 2022) eine Umfrage zur Einstellung der Bevölkerung unterschiedlicher Länder bezüglich der WM in Katar durch. Hierbei wurden die USA, Spanien, Italien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland befragt. Besonderer Fokus war hierbei das Thema „Boykott“. Die befragten Deutschen stellten sich im internationalen Vergleich als besonders kritisch gegenüber der FIFA und Katar. Doch was meinen die Heidelberger Studierenden?
Auf die Frage, wie viel die Befragten von der WM verfolgen werden, antworteten 45% der Deutschen mit „gar nichts“. Heidelberger Studierende boykottieren laut eigenen Angaben beachtlich mehr. Insgesamt 56,8% wählten die Antwortmöglichkeit „gar nichts“, Soziologie-Studierende sogar 66,2% (siehe Abbildung 1). Auffällig ist, dass trotz mehr Interesse am Fußball unter den Heidelberger Studierenden (40% der Heidelberger Studierenden gaben an, fußballinteressiert zu sein, unter den Deutschen nur 33%) deutlich weniger die WM verfolgen wollen.

(Bei dem Vergleich der Daten ist zu beachten, dass unsere Umfrage und die Umfrage von YouGov in unterschiedlichen Sprachen durchgeführt wurden. Die Fragen wurden frei übersetzt, wodurch es zu unterschiedlichen Interpretationen kommen kann.)
Nicht nur der individuelle Boykott der Bevölkerung, sondern auch der Boykott von politischer Seite war bereits bei anderen sportlichen Mega-Events ein öffentliches Diskussionsthema. So boykottieren zahlreiche westliche Staatsoberhäupter die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Der Boykott des „Staatsbesuches“ während der WM wurde somit politisch instrumentalisiert, um sich von bestimmten Personen und politischen Handlungen zu distanzieren (Schützender et. al. 2020). Wer sitzt wo und mit wem? Die Ehrentribüne in Fußballstadien ist oft gut besetzt mit allerhand mächtigen Interessenvertreter*innen. Ein Besuch bei der WM als eine Art „weniger formeller Staatsbesuch“ kann als Symbol von politischen Allianzen und „Soft Power“ Strukturen gedeutet werden. Der Boykott als Instrument der Distanzierung wird in Katar zumindest von deutscher Seite nicht genutzt. So sitzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser nicht nur in einem WM-Stadion, dass bekanntlich unter menschrechtswidrigen Umständen gebaut wurde, sondern sitzt auch direkt neben dem FIFA-Präsidenten Gianni Infantino. Sicherlich gibt es die Möglichkeit durch den Besuch im Stadion Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken und zu verhandeln. So wurde beispielsweise eine (wenig sachliche) öffentliche Debatte zum Thema LGTBQIA+ Rechte angestoßen. Nicht zuletzt auch, da Nancy Faeser die Binde auf der Ehrentribüne trug. Nach Betrachtung der gesamten One-Love Binden Kontroverse war das Tragen der Binde von Faeser allerdings, nur ein Kompromiss auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dieser „Kompromiss“ zeigt die Abtretung von Werten des DFBs und der Bundesregierung gegenüber der FIFA und Katar und die Unterlegenheit im Machtverhältnis (siehe den Blogbeitrag „Die Macht der FIFA“ von Lukas Biehn). Was bleibt, sind die Bilder im katarischen Stadion neben FIFA-Präsident Gianni Infantino. Diese stehen symbolisch klar für Akzeptanz und Kooperation mit einem autoritären Staat und der umstrittenen FIFA.

Das Meinungsbild zeigt Unterschiede zwischen den deutschen Befragten und den Heidelberger Studierenden (siehe Abbildung 2). Während 66,1% der Heidelberger Studierenden „Staatsbesuche“ kritisch sehen (Antwort = „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“), sind es bei den Deutschen nur 45%. Dies könnte allerdings auch an den unterschiedlichen Zeitpunkten der Umfragen liegen. Während des Umfragezeitraums in Heidelberg (19.11.-01.12.2022) wurde besonders stark öffentlich über die „One-Love Binde“ diskutiert. Die Umfrage von YouGov fand dahingegen noch vor der WM statt (21.-28. Oktober 2022). Allgemein ist wie auch schon in Abbildung 1 erkennbar, dass die Heidelberger Studierenden die WM in Katar kritischer sehen als die befragten Deutschen. Ob das nun aufgrund des verstärkten Interesses der Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit zu Beginn der WM liegt oder die Studierenden bereits vorher eine kritischere Meinung hatten, ist allerdings nicht auszumachen. Auffällig ist auch, dass bei beiden Gruppen viele Befragte keine Angaben machten.
Offene Fragen
In einer abschließenden offenen Frage haben wir die Teilnehmer*innen gefragt, warum sie die WM anschauen, bzw. warum sie diese nicht anschauen. Dabei wurden viele unterschiedliche Begründungen genannt.
Die häufigste Begründung, warum sich die Studierenden die WM ansehen, ist dass die Begeisterung für den Sport die negativen Umstände der WM übertreffen, und dass sie sich diese aus reinem Fußballinteresse ansehen werden. Dabei wurde allerdings auch oft betont, dass man das Ereignis in einem kritischen Kontext betrachten sollte, und neben den tatsächlichen Spielen auch die ans Licht gebrachten Problematiken diskutiert werden sollten. Einige der Fußballfans erwähnten, dass sie einen inneren Konflikt erfuhren, da sie einerseits die FIFA, bzw. Katar nicht mit ihrer Zuschauerschaft unterstützen wollen, aber andererseits auch das große Event der WM, auf welches sie sich lange gefreut hatten nicht verpassen wollten. Ein weiteres Argument die WM zu verfolgen, bestand darin, dass man die eigene Nationalmannschaft durch das Zuschauen unterstützen wolle. Viele gaben daher an, sie wollen nur die Spiele der Lieblingsmannschaft ansehen. In diesem Kontext wurde oft auch betont, dass die Problematiken der WM der FIFA und Katar zuzuschreiben seien und man nicht die Spieler für die Missstände verantwortlich machen könne. Andere merkten an, dass ein Boykott der WM wenig nutzen würde, da die WM bereits im vollen Gange sei, und die Übertragungsrechte bereits verkauft, sowie Sponsoring Partnerschaften bereits abgeschlossen seien. Ein Protest gegen die WM hätte bereits 2010 bei der Vergabe der WM an Katar stattfinden müssen, und nicht erst während des Events. Ein zusätzlich genanntes Argument war, dass nur das Boykottieren der WM keinen großen Effekt hervorrufen würde. Man müsse darüber hinaus auch Katars Öl und Gas ablehnen, und die Probleme des Landes auch außerhalb des Sportereignisses thematisieren. Des Weiteren müsse diese Diskussion nicht nur im Zuge dieser WM geführt werden, sondern hätte auch schon bei vorherigen WMs aufkommen sollen und sollte vor Allem auch für kommende Events geführt werden. Einige der Teilnehmenden waren der Meinung, dass Fußball nicht mit Politik vermischt werden sollte und man die Weltmeisterschaft als reines Sportevent betrachten sollte. Vereinzelte Teilnehmer*innen verteidigten die Kultur Katars und verwiesen darauf, dass es auch bei vielen weiteren Gastgeberländern in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, bzw. dass in vielen anderen Ländern auch heute noch Menschenrechtsverletzungen stattfinden.
Das am meisten vertretene Argument, warum sich die Studierenden die WM nicht ansehen, sind die Menschenrechtsverletzungen, die in Katar zur Normalität gehören. In diesem Zusammenhang wurden vermehrt die Gastarbeiter erwähnt, die beim Bau der Stadien ihr Leben verloren haben. Doch auch die geringen Rechte der Frauen, sowie der LGBTQIA+ Community wurden oft genannt. Eine große Mehrheit unter den Umfrageteilnehmer*innen sagte aus, dass sie das Schauen der WM nicht mit ihren moralischen Grundsätzen vereinen können, und dass sie weder Katar, noch die FIFA mit ihrer Zuschauerschaft unterstützen wollen. Die daraus resultierenden geringen Einschaltquoten sollen als Protest gegen die FIFA und Katar wirken, und ein Zeichen für zukünftige Sportveranstaltungen setzen. Ein zusätzlicher Grund der für einen Boykott der WM spricht, ist die ungeregelte Ressourcennutzung vor und während des Events. In diesem Zusammenhang wurde die Klimatisierung, sowie der Bau der Stadien, die eigens für die WM errichtet wurden, erwähnt. Eine weitere häufig genannte Begründung, warum sich die Studierenden die WM nicht anschauen wollten, ist die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs und die Korruption innerhalb der FIFA. Das was eigentlich im Vordergrund stehen sollte, der Sport, würde aus diesem Grund nur noch nebensächlich thematisiert werden. Manche der Teilnehmer*innen argumentierten, dass sie sich aufgrund der offenen Feindlichkeit Katars gegen die LGBTQIA+ Community unwohl dabei fühlen würden, ein Sportereignis in diesem Land zu verfolgen. Andere Begründungen betrafen die fehlende Stimmung für eine WM. Dabei wurde zum einen die unpassende Jahreszeit genannt, und zum anderen, dass die WM für viele im Normalfall eine Gelegenheit darstellt die Spiele gemeinsam mit Freunden und Familie oder bei Public Viewing Events anzusehen. Zudem fällt auf, dass durch die fehlenden bzw. augenscheinlich gekauften Zuschauer vor Ort nicht die übliche Euphorie einer WM entstehen kann.
Ferner führten viele der Studierenden an, dass sie die WM ohnehin nur in Teilen oder gar nicht angeschaut hätten, da sie sich wenig für Fußball interessieren, und dass die Problematiken der diesjährigen WM dafür noch ein verstärkender Faktor seien. Darüber hinaus wurde angegeben, dass manche der Teilnehmer*innen beim Verfolgen der WM Kompromisse eingehen, also zum Beispiel nur die Ergebnisse der Spiele verfolgen. Viele beschrieben auch, dass sie Angst hätten, verurteilt zu werden, wenn sie die WM aktiv verfolgen.
Fazit
Bei der Analyse der internationalen Umfrage von YouGov konnte festgestellt werden, dass die Deutschen die WM in Katar oftmals kritischer als andere Staatsbürger aus Europa und der USA sehen. Unsere Umfrage unter Heidelberger Studierenden ergab, dass die die Studierenden oftmals noch kritischer als die Deutschen sind. Dies ist u.a. daran zu erkennen, dass sie häufiger angaben, die WM nicht schauen zu wollen. Doch nicht nur der individuelle Boykott scheint den Studierenden wichtig. Auch der Wunsch nach Boykott von politischer Seite ist stark verbreitet unter den Studierenden.
Insbesondere die Begründungen für und gegen das Verfolgen der WM stellten sich als sehr interessant und differenziert heraus. Die Antworten auf die offene Frage haben gezeigt, dass es keine klare Antwort auf die Frage Pro- oder Contra Boykott gibt, wodurch die Entscheidung letztendlich beim Individuum liegt.
Literatur
SCHÜTZENEDER, J., GRAßL, M. & SCHIAVONE, M. (2020). Heimvorteil Putin? Die mediale Darstellung des russischen Präsidenten während der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 – eine Inhaltsanalyse. Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft, 1 (2), S. 178-195.
SMITH; M. (2022): Football fans in England would support Qatar boycott. Online unter: Link (abgerufen am 09.12.2022).
2 Antworten zu “Was denken Heidelberger Studis über die Fußball-WM in Katar?”
Ich finde eure Erkenntnisse bezüglich Boycottverhaltens sehr spannend. Jedoch würde es mir sinnvoller erscheinen, eine Art Filterfrage zu Beginn des Fragebogens zu etablieren, in welcher zunächst angegeben werden muss inwiefern überhaupt Interesse am Zuschauen einer WM vorhanden ist. Es ist meiner Meinung nach vorstellbar, dass es relativ betrachtet unter den Heidelberger Soziologie Studierenden weniger Fußballfans und Fußballzuschauer gibt als in der Bevölkerung Deutschlands. Ist dies der Fall, so sind die Ergebnisse anfälliger für Verzerrungen, da von Personen, die ohnehin kein Interesse an Fußball haben eher angegeben wird die WM zu boykottieren, als WM spiele zu schauen. Somit ist eine Beeinflussung der Ergebnisse, welche einen Überschuss der Boykottierenden vorsieht, schwierig zu verhindern. Würde man jedoch zunächst das allgemeine Interesse am Fußball untersuchen, so kann man anschließend der Antwortverhalten etwas genauer einordnen.
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Hallo Herr Fischer,
Vielen Dank für die Rückmeldung!
Wir haben die Frage nach dem Fußballinteresse in unserer Umfrage eingebaut. Die Ergebnisse zu dieser Frage finden Sie unter „Umfrage: weitere Ergebnisse“, am Ende des Blogbeitrags. Des Weiteren geht auch Lukas Pfäffle in dem Blogbeitrag „In welchen Studiengängen herrscht eine besonders große WM-Skepsis?“ auf die Frage ein.
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